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Fachartikel aus MECHATRONIK 9-10/2015, S. 10 bis 11

Internationales Forum Mechatronik

Evolution Smart Production

Potenziale von Industrie 4.0: Möglichkeiten gehen weit über die Fertigung hinaus – und reichen bis in den Tourismus hinein, zeigen Tiroler Unternehmen.

Bild: TechnoAlpin Austria
Smarte Produktion hat längst die Fertigungshallen verlassen und Bereiche abseits der klassischen Industrie erreicht – wie etwa das Pistenmanagement und die Produktion technischen Schnees. (Bild: TechnoAlpin Austria)

Von Florian Schallhart


Die IT-gestützte Vernetzung von Information und Kommunikation zwischen Menschen, Maschinen und Produkten im Internet der Dinge gilt als Hoffnungsträger unserer Industrieproduktion. Ein vermeintliches Hindernis auf dem Weg zur intelligenten Produktion stellen Maschinen dar, denen die entsprechenden Schnittstellen zur Vernetzung fehlen – ein Trugschluss, wie ECI Manufacturing beweist. Das Tiroler Gasmotorenkompetenzzentrum verwendet selbst Werkzeugmaschinen Baujahr 1990er Jahre. Die Bearbeitungszentren wurden mechanisch überholt, die Maschinen und deren Steuerung um zusätzliche Features erweitert. Und mit einer selbstentwickelten Hardware, der ECI-Box, lassen sich ältere Maschinen einfach an das Fertigungsnetz anbinden. Eine intelligente Fertigung lässt sich also mit wenig Budget umsetzen – und somit auch von KMUs realisieren.


Ganzheitliche Sichtweise


Tatsächlich gehöre zur smarten Produktion aber mehr: „Der inhaltliche Fokus liegt in den Anpassungen des Gesamtproduktionsprozesses auf Basis von Lifecycle-Betrachtungen“, erklären dazu Franz Unterluggauer und Michael Jäger, die die Cluster IT beziehungsweise Mechatronik der Standortagentur Tirol leiten. Der Fertigungsprozess als solcher sei im Regelfall detailliert untersucht und entsprechende Technologien entwickelt und implementiert – weitere Optimierungen in diesem Teil der Produktion daher kaum mehr erreichbar.

Bild: Standortagentur Tirol
Franz Unterluggauer: „Die Fokussierung intelligenter Systeme auf den Produktionsbetrieb versperrt den Blick darauf, welche Potenziale die Vernetzung abseits von Produkt und Produktion bereithält.“ (Bild: Standortagentur Tirol)

„An den Schnittstellen zwischen den der Fertigung vorgelagerten Bereichen Forschung, Konstruktion und Entwicklung sowie der Fertigung und der nachgelagerten Wartung, Instandhaltung und dem Support gibt es aber Reibungsverluste“, so die Clustermanager. Hier setzen die Initiativen der Clusterplattform an, um weitere Effizienzsteigerungen in der Gesamtproduktion herauszuholen. Dabei geht es unter anderem um die Ausbildung neuer Skills und Fähigkeiten von Kernmitarbeitern inklusive Coaching und Mentoring.

Neben den technischen Fertigkeiten müssten Change-Management-Kompetenzen aufgebaut werden und Prozessbetrachtung, Mitarbeiterführung, fach- und bereichs- übergreifende Mindsets, die Anwendung agiler Entwicklungsmethoden und die richtige Portion Experimentierfreudigkeit entwickelt werden. „Das bedeutet nicht Aus-, sondern laufende Weiterbildung“, betonen Jäger und Unterluggauer. In diesem Sinne bieten die beiden Cluster zum Beispiel gemeinsam mit Tiroler Hochschulen die ERP Summer School an. In deren Mittelpunkt steht das Wie und Warum hinter Enterprise Resource Planning. Die Teilnehmer lernen, betriebliche Prozesse besser zu verstehen, über ERP-Systeme zu automatisieren und erfolgreich im Projektmanagement umzusetzen.


Industrieproduktion am Berg


Doch in den Clustern will man mehr. Die Fokussierung intelligenter Systeme auf den Produktionsbetrieb alleine versperre nämlich den Blick darauf, welche Potenziale die Vernetzung abseits von Produkt und Produktion bereithält, ist man in den Clustern IT und Mechatronik überzeugt. Bis 2020 werden weltweit über sieben Milliarden Menschen und Unternehmen mit etwa 50 Milliarden Geräten mit dem Internet verbunden sein. Und diese Entwicklung wird Auswirkungen haben, nicht nur auf die Produktion, sondern auf Unternehmen aller Branchen sowie unsere Wirtschaft und unsere Gesellschaft insgesamt. Die enormen Möglichkeiten, die hinter dieser Vernetzung stecken, wollen Tiroler Unternehmen, F&E- sowie Bildungseinrichtungen, die sich in den Clustern IT und Mechatronik der Standortagentur Tirol vereinen, zu Nutze machen.

Bild: Standortagentur Tirol
Michael Jäger: „Wir wollen die Techniken der Industrie 4.0 mit komplementären Branchen und Wirtschaftszweigen verbinden, um die Reichweite Tiroler Unternehmen in Märkten auch abseits der Industrie zu erhöhen.“ (Bild: Standortagentur Tirol)

„Industrie 4.0 und ihre Methoden werden auch in den Bereichen Enterprise-Systems, Smart-City, Smart Energy Solutions, Mobilität, Telemedizin und Medizintechnik sowie im Digitalen Bauen und im Tourismus, bei Beschneiungstechnologien und im Pistenmanagement eine Rolle spielen. Daher ist es unser Ziel, die Reichweite der Tiroler Unternehmen in Märkten auch abseits der Industrie zu erhöhen“, sagt Jäger. Und schnell sei man dabei auf den Tourismus gekommen, genauer gesagt auf die intelligente Produktion von technischem Schnee. Big Data, Mechatronik und vernetzte Systeme sollen in diesem Bereich die Effizienz steigern. Dabei geht es letztlich um den nach der Industrie und der Sachgüterproduktion wichtigsten Wirtschaftszweig Tirols: Um im Konkurrenzkampf mit anderen Skigebieten zu bestehen, muss rechtzeitig zum Saisonbeginn eine ausreichend belastbare künstliche Schneedecke vorhanden sein.

Wie viel Wasser und Strom dafür gebraucht werden, hängt zum einen von der Sonneneinstrahlung und der Temperatur ab, andererseits vom Wind: Laufen die Schneekanonen, wenn er bläst, landet der Schnee dort, wo man ihn nicht braucht, nämlich abseits der Piste. Bei Kosten von grob drei Euro pro Kubikmeter Kunstschnee – und einem Bedarf von einer Million Kubikmeter Kunstschnee wie in den größeren Tiroler Skigebieten pro Saison – ist an eine Überproduktion, um auf Nummer sicher zu gehen, alleine schon aus wirtschaftlichen Gründen nicht zu denken. Zumal der teuer überproduzierte Schnee außerdem am Saisonende ebenso teuer wieder entfernt werden müsste, um das Land wieder für die Landwirtschaft nutzbar zu machen. Einige innovative Bergbahn-Unternehmen, wie etwa dieMayrhofner Bergbahnen im Zillertal, setzen daher auf elektronische Systeme, um per Satellitenortung auf wenige Zentimeter genau die Schneehöhe zu messen. Diese Daten werden in Echtzeit an Pistenfahrzeuge und Schneekanonen weitergegeben und in weiterer Folge wird nur an bestimmten Stellen und nur so viel beschneit, wie nötig.


Tourismus-Industrie neu gedacht


Unter der Koordination der Cluster Erneuerbare Energien, IT und Mechatronik der Standortagentur Tirol bündeln Experten, Unternehmer, Forscher, Innovatoren und Skigebietsbetreiber in der Plattform Ökologisches Pistenmanagement ihre Kompetenzen. Im Spannungsfeld von Technik, Natur und Management entwickeln sie marktfähige Produkte und Dienstleistungen. Mit an Bord ist etwa der Schneeprofi TechnoAlpin. Das Südtiroler Unternehmen zählt zu den weltweit größten Anbietern von Beschneiungslösungen. Anfang 2015 gab das Unternehmen bekannt, den Standort in Tirol auszubauen und fünf Millionen Euro zu investieren. Seit der Gründung ist der Bereich Forschung & Entwicklung der wichtigste Innovator für das global erfolgreiche Unternehmen. So werden für die Weiterentwicklung der Propellermaschinen und Schneilanzen jährlich rund der Millionen Euro investiert. Die Cluster der Standortagentur Tirol werden aus Mitteln des Landes Tirol und des Europäischen Fonds für regionale Entwicklung kofinanziert.

www.standort-tirol.at


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